Aufregung pur – ein neuer S-Jolli für Wilhelm

Vorwort

Der 16m² Jollenkreuzer ist ein wundervolles Segelboot, man kann damit Fahrten auf Gewässern unternehmen, die vielen anderen Seglern verschlossen bleiben (der Tiefgang beträgt minimal 20 cm), man kann in ursprünglichster Form Wasserwandern (einschließlich Übernachten in der „Schlupfkajüte“), weil er ein großes Cockpit zum Leben auf dem Wasser hat.

Man kann – und sollte – mit ihm aber auch das Regattasegeln betreiben, weil er ein schneller, dynamischer Jollenkreuzer ist und die Regattafreunde eine Klasse für sich sind, die ich seit mehr als 50 Jahre genießen durfte. In der 16er Familie habe ich mich immer wohl gefühlt.

Um auch anderen Seglerinnen und Seglern meine Freude an dieser Konstruktionsklasse teilhaben zu lassen, werde ich in Abständen meine Erlebnisse beim Bau eines neuen Schiffes berichten, wobei ich hoffe, dass sich die Abenteuer beim Bau doch in Grenzen halten

  1. Teil

Ideen brauchen Zeit!

Einmal im Leben selbst ein Boot bauen, na ja, wenigstens einmal nach eigenen Ideen ein Boot bauen lassen – das war die Idee. Vielleicht habe ich mich deshalb auch sehr interessiert, als Doris + Paschi den S 454 aus der Taufe gehoben haben, ihr Baby!

Das Glück hat es gut mit mir gemeint, ich habe ein wenig Geld zur Seite legen können, wir haben keine Kinder zu versorgen, ich bin alt genug zum Segeln und hoffentlich noch nicht zu alt. Immerhin hat Walter Riedel in meinem Alter noch die Meisterschaft der S-Kreuzer auf dem Dümmer gewonnen.

Warum sollte ich keinen S-Kreuzer nach meinen Vorstellungen kreieren? Ein gewichtiger Einwand: die „Lahme Ente“ S 399 könnte es mir übel nehmen. Immerhin hat sie mich (und Paschi) seit 1987 treu zu vielen Meisterschaften begleitet, und auch heute noch ist sie durchaus das Maß eines regattafähigen S-Kreuzers! Außerdem ein wunderschönes Holzboot – mit eigenem Charakter! Leider aber auch ein Arbeitsschiff, es bedarf schon einiger Physis und einigen Willens, das Schiff zu beherrschen. Und da wir doch in die Jahre gekommen sind, besonders ich, und noch einige Jahre Regatten segeln möchten, täte mir ein Boot, leichter beherrschbar wie die von Marc Hoffmann, doch sehr gut.

Dreißig Jahre habe ich die „Ente“ gut behütet, da darf doch auch wohl ein Junges auf den See. Hoffentlich mindestens genauso schön, jung und modern und in der Lage, alte Segler wie Paschi und mich noch lange aufrecht zu halten! Auch das ist meine Vorstellung eines neuen S-Kreuzers. Außerdem: in wessen Seglers Herz und Hirn lebt nicht der Gedanke, das kann man doch besser machen, einfacher, schneller.

Am 4.8.2014 habe ich mir am Neusiedler See ein Notizbuch gekauft, mit Paschi und vielen anderen geredet und geredet, Ideen gesammelt und verworfen. Reiner Herget gab einen weiteren Schub, als er verkündete, bei Juliane Hempel einen neuen Riss in Auftrag gegeben zu haben. Das brauchte ich noch, ich konnte mich anhängen, der Riss wurde konkreter. Im Februar 2016 habe ich die Linien gesehen und mich bei Reiner Herget in das Projekt eingeklinkt. Er hat sich das nötige Knowhow angeeignet bzw. die richtigen Leute an Land gezogen, mit denen er zunächst eine Positiv-Form bauen bzw. fräsen konnte, von der er dann wiederum die Negativform abgezogen hat, in der dann mein Rumpf gebaut werden konnte. Reiner hatte im Dezember den ersten Rumpf gefertigt, meiner sollte der zweite sein.

Die Negativ-Form nach dem Riss von Juliane Hempel sah für mich schon schnell aus, obwohl ich ja zugeben muss, ich konnte mir nicht so recht vorstellen, wie eine Zeichnung eines S-Kreuzers mit dem realen Objekt übereinstimmt. Aber als ich die Form gesehen habe, war ich überzeugt, das Modell kann laufen! Und – Juliane Hempel hat schon einige schnelle Bootsrisse gezeichnet! (Man schaue nur mal ins Netz und gebe ihren Namen mit den 5,5ern ein.

Mit Jens von der Werft Fricke & Dannhus habe ich lange diskutiert und einiges erfahren, dann stand für mich fest, ein Sandwich-Aufbau soll die nötige Festigkeit bringen, Reiner habe ich zu dieser Bauweise überredet, auch wenn es (wieder einmal) teurer wird.

2. Teil

Ein Rumpf aus Vöhringen

Die Geburtsstunde „meines“ Rumpfes wollte ich nicht verpassen, außerdem ist ein Wochenende in und um Ulm doch nett (wie auch Doris gefunden hat), und ich wollte Reiner und Daniel beim Legen der Glasmatten und Wabengewebe zuschauen.

Aber – geht das gut? Ein Rumpf aus Bayern für einen Niedersachsen, der auf einer Dümmerwerft den 16er bauen lassen will! Doch, das geht und wie! Reiner hat die (Negativ)-Form penibel bearbeitet, man kann es an dem ersten Rumpf sehen, der bei ihm im Garten liegt und auf den Ausbau wartet. Reiner und Daniel haben schon die Glasfasermatten eingelegt, danach ein Wabenmaterial für den Kern.

Darüber wird eine Folie (im Bild grün) luftdicht gelegt, damit die Absaugpumpe die Luft aussaugen und alles zusammenpressen kann.

Der große Moment – man hat nur einen Versuch! Vom Heck wird das Harz angesaugt und hat 5 Stunden Zeit, sich bis zum Steven durchzuarbeiten.

Hier der Vorgang der sog. „Vakuum-Injektion“ im Bild. Am Heck wird in die Töpfe das Harz eingegossen, während am Bug die Luft abgesaugt wird. Und so saugt sich vom Heck her die Schale langsam aber stetig voll Harz, die eingelegten Glasfasser-Matten werden durch das Vakuum zusammengepresst und es entsteht ein fester Rumpf!

Das klappte auch ganz gut, Reiner konnte mich beruhigen, obwohl ein kleines Segment harzfrei blieb, Doris und ich konnten sogar in aller Ruhe ins Ulmer Kino.

Zwei Wochen und eine Grippe-Infektion später starten wir die zweite Reise nach Ulm, Reiner hatte Rumpf und Trailer präpariert, den Rumpf versteift, die erste Reise des Neubaus in den Norden zur Werft Fricke & Dannhus am Dümmer konnte beginnen.

Weil der Rumpf nicht geschlossen ist, war die Windwiderstandskraft groß, entsprechend der Spritverbrauch.

 

So – da hätten wir also schon mal einen Rumpf! Und nun?

Was habe ich schon tage- und nächtelang überlegt, wie mein Schiff aussehen soll! Einige Grundbedingungen für eine gute Seemannschaft, dh einfaches Handling und saubere Bewegungsabläufe auf einem S-Kreuzer sind für mich wesentlich:

  • ich will als Steuermann möglichst weit nach vorn zur Kajüte rücken können
  • das Mannschaftsgewicht sollte sich möglichst mittig nach vorn konzentrieren
  • also muss die Kajüte möglichst nach vorn, dahinter sollte ein freier Durchgang ohne Reitbalken sein
  • alle Bedienelemente sollen zentral erreichbar sein, also muss der sog. Tisch mit der Zentralwinsch gut positioniert werden
  • das Ausreiten soll möglichst bequem werden  –  eben für uns alte Säcke
  • und trotzdem soll man mit dem Schiff wasserwandern können, also muss man in der Kajüte schlafen können
  • die Strippen sollen möglichst nicht sichtbar sein, auf keinen Fall im Cockpit hindern und möglichst im Mastbereich runter auf den Schwertkasten führen und in diesem (damit das Wasser nicht in die Kajüte läuft) nach hinten zum Tisch gelenkt werden
  • überhaupt muss man konstruktiv vermeiden, dass Wasser im Schiff stehen bleiben kann, neuralgische Punkte sind Maststütze und Schwertkasten am Mastbereich, Spiluk und drum herum, weil mit dem Spi immer auch Wasser ins Schiff gelangt
  • Lage der Auftriebskörper – wenn schon umfallen, soll das Schiff nicht auf dem Kopf oder Heck stehen!

Und dann kommen noch folgende Überlegungen: wo soll der Mast stehen und wie soll eigentlich der Mast versteift werden? Ich weiß, fast alle anderen Jollenkreuzer haben ihre Püttings querab zum Mast, dort sind die Ober- und Unterwanten angeschlagen. Dazu braucht man dann ein Vorstag, damit der Mast nicht umfällt, wenn kein Vorsegel gesetzt ist. Die „Lahme Ente“ hat jedoch Unterwanten, die ca. 30 cm vor und hinter der Oberwant ansetzen und an der ersten Saling enden, beide sind trimmbar, so dass ich eine sehr gute Kontrolle über den Drehpunkt habe, über den der auf dem Deck stehende Mast sich biegen lässt. Ich glaube, dass das ein wesentlicher Punkt für die gute Höhe ist, die das Boot segelt. Außerdem benötige ich kein Vorstag, das kann sich auch nicht vertüdeln mit Fock und Spinnaker. Also soll es auch so beim Neubau sein, was eine entsprechende Planung des gesamten Decks erfordert.

3. Teil

Auf der Werft

16.02.2017

Jens Dannhus erwartet mich auf der Werft, der Rumpf ist jetzt gelagert und ausgerichtet auf der Wasserlinie, die man allerdings nur aus der Zeichnung erkennen kann, jetzt wird sie an dem Objekt bemessen und genau eingerichtet.

Man sieht die Wabenstruktur des Rumpfes, die eine hohe Festigkeit bringen soll.

Was mir bis dahin noch gar nicht klar war, für ein neues Schiff braucht man auch einen neuen Mast! Ein Anruf bei den Mastenlieferanten – ja klar, wenn ich im Herbst vergangenen Jahres angerufen hätte, dann hätte man einen Mast bestellen können, in diesem Jahr brauchte ich gar nicht daran zu denken, ein Profil nach meinen Wünschen zu erhalten!  Aha – beim nächsten Mal also daran denken, rechtzeitig die wesentlichen Komponenten bestellen. Zum Glück hat die Werft genau mein Profil noch im Lager!

Soweit also fürs erste.

 

Es folgt das Werftgespräch mit der Festlegung der nächsten Schritte.

Um zu verstehen, wie der Ausbau möglichst elegant, aber auch regelkonform gestaltet werden kann, muss man sich schon in die Klassenvorschrift vertiefen.

Das kann durchaus Spaß machen, wenn man ein neues Schiff baut. Außer der Klassenvorschrift haben wir keine Vorgaben, aber wie hat die Konstrukteurin die Wasserlinie wohl gemeint, als sie den Rumpf gezeichnet hat. Wo beginnt der Messpunkt J, an dem der Fockroller eingebaut werden soll, denn danach bemisst sich die Länge vom J-Maß, und am hinteren Ende vom Maß J steht der Mast. Die Klassenvorschrift lässt einen Konstruktionsspielraum, ich rechne hin und her, Reiner hatte mir ein J-Maß von 2,11 m genannt, dann wird das Maß für I, die Länge am Mast bis oben zur Fockrolle, maximal 7,11 m sein dürfen. Ich begreife, jetzt fängt die Spielerei mit der Konstruktionsklasse ernst. Selbstverständlich will ich die Maße ausreizen, wenn ich also ein Maß J von etwa 2,05 m nehme, wird I 7,32 lang.

Und eine lange Anschnittskante für das Vorsegel ist gut für den Wirkungsgrad, sagt jedes Lehrbuch, man schaue nur bei Marchaj, Curry oder Bethwaite nach, meinen Koryphäen des – theoretischen – Segelsports. Ich habe ja schließlich kein Schiffbaustudium, will aber dennoch einiges verstehen und kann die Autoren nur loben.

Das Maß I muss aber auch noch mit dem Maß HT abgestimmt sein, der maximalen Höhe des Punktes, bis wohin das Großsegel reichen darf. Und nicht zu vergessen, der Galgen für das Achterstag muss auch noch passen. Auf einmal macht die Spielerei Spaß, ich tüftele noch lange hin und her.

Auf der Werft müssen Jens und ich also das Maß J festlegen, irgendwo muss ja der Mast auf dem Kajütdach stehen. Spielraum hat man ja, ob also 2,05 m oder 2,11 m lässt sich vielleicht noch später festlegen, andererseits muss unter dem Kajütdach ja eine stabile Konstruktion der Maststütze stehen. Ich weiß, dass die früheren S-Kreuzer gerade da ihre Schwachstelle hatten, die „Lahme Ente“ habe ich dort einige Male verstärkt, weil die Maststütze sich auseinander gebogen hatte, als wir die Wanten mehr durchgesetzt haben. Mehr Spannung im Rigg wirkt sich positiv auf die zu segelnde Höhe am Wind aus, also muss dies besonders beachtet werden.

Wir legen provisorisch fest, wo die Spanten zur Aussteifung des Rumpfes gesetzt werden sollen, die Reiner erst provisorisch eingebaut hat. Auch das Gewicht muss letztlich stimmen, und jeder weiß, dass man zu Beginn des Projektes am ehesten Gewicht einsparen kann. Gewogen hat Jens den Rumpf auch, 168 kg kommen raus mit einigen Spanten im Rumpf, ein durchaus akzeptabel geringes Gewicht.

Auch die Rumpfhöhe wollen wir festlegen, wir messen nach und könnten überall vom Rand noch einige Zentimeter abschneiden, am Heck sogar fast 20 cm. Ein flacher Bootskörper ist auch leichter, und das will ich doch! Aber abschneiden kann man nur einmal. Und wie sieht das dann noch aus? Als ich wieder zu Hause angekommen, mit Reiner telefoniere, erinnert er an seine „Telefonzelle“, die zwar einen flachen Rumpf hatte, auf der aber die Kajüte eben wie eine (englische, weil rote) Telefonzelle thronte, wenn jemand von euch noch eine solche kennt. Ich konnte nachts nicht schlafen; wenn Jens schon mit dem Schneiden begonnen hat?

Jens hat zum Glück noch nicht begonnen, er wollte sich bei der Konstrukteurin erst noch rückvergewissern und die läuft noch Ski. Und so vergeht eine Woche nach der anderen. Jetzt haben wir schon Mitte März, die Hölzer für das Schiff sind mittlerweile angekommen, die Spanten sind einlaminiert worden, der gesamten Rumpf innenseitig mit Epoxid ausgestrichen, der Schwertkasten und die Kojenfundamente eingebaut. Der Steven ist verstärkt worden der Aufbau für die Aufnahme des Fockrollers mit Stehbolzen einlaminiert, danach wird der vordere Auftriebskörper eingebaut.

Deutlich ist auch die Wabenstruktur vom Sandwichaufbau der Außenhaut zu sehen, die durch die Spanten schon eine enorme Festigkeit erhalten hat.

 

Julius hockt auf dem Schwertkasten und verleimt den Deckel des vorderen Auftriebskörpers.